In einem aktuellen Bericht des Handelsblatts wird auf die bevorstehenden gesetzlichen Anforderungen zur Barrierefreiheit von Websites hingewiesen, denen sich deutsche Unternehmen stellen müssen. Da wir viele Rückfragen zum Handelsblatt Artikel erhalten haben, machen wir einen Faktencheck. Wir durchleuchten den Beitrag, führen aus was uns gefällt und wo wir Schwächen im Bericht sehen.
Inhaltsübersicht
- 90 % der Webseiten nicht Barrierefrei
- Enorme Kaufkraft von Menschen mit Behinderungen in der EU
- Sperrung von Webseiten bei nicht Erfüllung der digitalen Barrierefreiheit
- Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit ist komplex und teuer
- Aufgeführte Beispielbarrieren sind teilweise irreführend
- Klagen wegen digitaler Barrierefreiheit: Betroffene, Verbände, Konkurrenten
- Fazit
90 % der Webseiten nicht Barrierefrei
Laut einer vom Handelsblatt zitierten Studie der Unternehmensberatung Accenture sind derzeit etwa 90% der Unternehmenswebsites nicht barrierefrei. Dies bedeutet, dass sie für Menschen mit Behinderungen schwer zugänglich sind.
Leider war es uns nicht möglich, diese Studie aufzufinden. Im Artikel "Studien zur Barrierefreiheit im Internet – Barrieren soweit das Auge reicht" haben wir eine Studiensammlung zusammengestellt. Die Zahl von 90 % ist in Online-Shopping auch in anderen Studien bestätigt worden.
Enorme Kaufkraft von Menschen mit Behinderungen in der EU
Weiter heißt es im Bericht, dass angesichts einer EU-weiten Kaufkraft von Menschen mit Behinderung von 2,3 Billionen Euro pro Jahr, den Unternehmen ein erhebliches Marktpotenzial entgeht.
Ist das jetzt viel oder wenig? Um diese Zahl richtig interpretieren zu können, müssen wir zunächst verstehen, wie die Kaufkraft einer Gruppe ermittelt wird.
Die Ermittlung der Kaufkraft einer Zielgruppe erfolgt durch eine Analyse verschiedener wirtschaftlicher Indikatoren. Zu den wesentlichen Faktoren gehören das durchschnittliche Einkommen der Zielgruppe, ihre Ausgabenmuster und das verfügbare Einkommen, das nach Abzug der grundlegenden Lebenshaltungskosten zur Verfügung steht.
In der Eu leben laut der Webseite europa.eu (link öffnet neues Fenster) der Europäische Kommission knapp 100 Millionen Menschen mit einer Behinderung.
Dividiert man die Kaufkraft durch die Anzahl der Menschen mit einer Behinderung erhält man eine Kaufkraft pro Person von 23.000 Euro pro Jahr.
Laut der GFK (Link öffnet neues Fenster lag die durchschnittliche Kaufkraft pro Person in Europa im Jahr 2023 bei 17.688 Euro pro Jahr. Wobei es in den verschiedenen Ländern erhebliche Unterschiede gab. Liechtenstein liegt mit einem Ausgabepotenzial von 68.843 Euro pro Kopf auf dem ersten Platz, gefolgt von der Schweiz mit 49.592 Euro und Luxemburg mit 40.931 Euro.
Wenn wir davon ausgehen, dass die durchschnittliche Kaufkraft in der EU höher ist, als die durchschnittliche Kaufkraft in Europa, ist die genannte Kaufkraft von 2,3 Billionen Euro pro Jahr realistisch.
Sperrung von Webseiten bei nicht Erfüllung der digitalen Barrierefreiheit
Ab dem 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft, welches Mindeststandards für die digitale Barrierefreiheit vorschreibt. Unternehmen, die diese Standards nicht erfüllen, drohen Strafen bis hin zur Sperrung ihrer Websites.
Die Hürde bis zur Abschaltung einer Webseite ist in Deutschland in Vergleich zur USA noch ziemlich hoch. Rechtlich gesehen steht vor der Abschaltung noch einige Nachbesserungsfristen und Strafzahlungen an, so dass die Abschaltung einer Webseite zwar theoretisch gegeben ist, aber in der Praxis die Gerichte erst noch den Willen zu solch einem Schritt beweisen müssen.
Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit ist komplex und teuer
Im Bericht wird weiter ausgeführt, dass einige große Unternehmen wie die Deutsche Bahn, Media-Markt-Saturn und die Otto Group bereits begonnen haben, ihre digitalen Angebote anzupassen. Doch die Umsetzung ist oft komplex und kostspielig, sagen die Unternehmen.
Wir sagen, dass muss nicht sein. Durch die Erwähnung von einige Großunternehmen und deren Zitate kann der Eindruck entstehen, dass nur Großunternehmen sich solch ein teures Projekt zur digitalen Barrierefreiheit leisten können. Hier einige Zitate:
- „sehr aufwendiges Mammutprojekt“,
- „Anpassungen an vielen Schnittstellen“
- “ Ein Angebot barrierefrei zu machen, greife häufig tief in die Struktur der Website ein."
Wir haben viele kleine und mittelständige Unternehmen dabei geholfen, ihre Webseiten barrierefrei zu bekommen. Und in Welt der Konzerne kennen wir uns bestens aus.
Häufig sind die Konzernstrukturen und nicht die Umsetzungsvorgaben der digitalen Barrierefreiheit die Kostentreiber, außer wir sprechen von einer Webseite, die im Metaverse-Stil aufgebaut ist.
Gerne helfen wir auch ihr Unternehmen mit einem durchdachten, erprobten Konzept bei der Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit. von Entwicklerschulung, über die Prozessoptimierung bis hin zur Barrierefreiheitstests. Kontaktieren Sie uns jetzt für ein kostenloses Beratungsgespräch.
Aufgeführte Beispielbarrieren sind teilweise irreführend
Im Artikel werden einige Beispielbarrieren und Gegenmaßnahmen aufgeführt, die nicht ganz im Themenfeld der digitalen Barrierefreiheit einzuordnen sind, zumindest nicht im klassischen Sinne. So heißt es beispielsweise, dass Zalando in einer ersten Phase, barrierefreie Funktionen wie besseren Farbkontrast, Dunkelmodus und anpassbare Schriften einrichten möchte.
Dunkelmodus und anpassbare Schriften sind hilfreich, aber keine WCAG-Kriterien. da diese Funktionen über Betriebssystemfunktionalität, assistive Technologien oder Plug-Ins client-seitig (also vom Nutzer selbst) bereits heute auf jeder Webseite angewendet werden können, empfehlen wir unseren Kunden zunächst andere Optimierungen vorzunehmen. Echte Barrierefreiheitsmaßnahmen gehen hier viel tiefer.
Klagen wegen digitaler Barrierefreiheit: Betroffene, Verbände, Konkurrenten
Im Handelsblattartikel wird aufgeführt, dass Unternehmen sich nicht darauf verlassen sollten, dass Barrieren nicht entdeckt werden. Es können neben den Betroffenen, auch Verbände und Konkurrenten bei der Marktüberwachung Beschwerde einreichen.
Diese Aussage ist korrekt. Und je bekannter ein Unternehmen und je wesentlicher das Angebot, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer der ersten zu sein, wo die Marktüberwachung klagen vorbereiten wird.
Fazit
wir finden den Artikel vom Handelsblatt sehr gelungen. Es ist sehr erfreulich, dass eine reichweitenstarke Wirtschaftszeitung dieses Thema aufgegriffen und in die breite Masse kommuniziert hat. In der Regel wird das Themenfeld der digitalen Barrierefreiheit von engagierten Einzelpersonen, Vereinen, Verbänden, Agenturen und Behörden vertreten und diese Kreise erreichen die operative, aber häufig nicht die Managementebene.
Insgesamt wird deutlich, dass Unternehmen nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich gut beraten sind, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten. Dies verbessert nicht nur die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen, sondern optimiert auch die Sichtbarkeit in Suchmaschinen und erhöht das Umsatzpotenzial.
Den gesamten Handelsblatt Artikel finden Sie unter: Barrierefreiheit: Tausenden Unternehmen droht Abschaltung ihrer Websites (Link öffnet neues Fenster)
Gestalten Sie gemeinsam mit uns Ihre Webseite barrierefrei. Kontaktieren Sie uns für ein kostenloses Beratungsgespräch.