Studien zur Barrierefreiheit im Internet – Barrieren soweit das Auge reicht

Hinsichtlich der immer rasanteren Digitalisierung der Gesellschaft kann nicht oft genug auf die Wichtigkeit barrierefreier Webseiten hingewiesen werden. Die Gefahr von der digitalen Teilnahme ausgeschlossen zu werden ist nicht nur theoretisch, sondern real vorhanden. In diesem Artikel schauen wir uns an, wie stark barrierenbehaftet das Internet immer noch ist und was wir dringend ändern müssen.

Digitale Barrierefreiheit bei Internetseiten für den Alltag

Die Kette der unzugänglichen Programme in Behörden, nicht nutzbare Internetangebote von Fluggesellschaften, unzureichend barrierefreie Mobile Applikationen von Banken ist lang. Schauen wir uns einige Bereiche genauer an.

Behördliche Webseiten

Eine Studie von Information Technology and Innovation Foundation von März 2017 ergab, dass 42 Prozent der getesteten behördlichen Internetpräsenzen der USA nicht zugänglich für Menschen mit einer Behinderung sind. (Information Technology and Innovation Foundation, 2017 (Link öffnet neuem Fenster))

Da Webseiten mit US-Bezug bei Tests von WebAim meistens besser als andere Länder-Domains performen, kann davon ausgegangen werden, dass die Anzahl unzugänglicher Webseiten deutscher Behörden noch höher liegen.

Und hierbei ist zu bedenken, dass gerade Behörden eine besonders strenge gesetzliche Verpflichtung und gleichzeitig weniger wirtschaftliche Einschränkungen zur Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit besitzen. Wenn selbst Behörden Ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, wie sieht es dann bei den Wirtschaftsakteuren in Deutschland aus?

Haftpflichtversicherungen - 80 % der Webseiten nicht barrierefrei

Nach einer Studie von T-Systems Multimedia Solutions (Link öffnet neuem Fenster) aus dem Jahr 2016 waren lediglich nur 20 % (3 von 15 Webseiten) der getesteten Webseiten barrierefrei. Getestet wurden die 15 größten Versicherungsdienstleister in Deutschland. Erwartungsgemäß trafen Menschen mit einer Sehbehinderung auf die größten Barrieren.

Online-Shopping - Nur 1 von 15 der Webseiten zugänglich für Menschen mit Behinderung

Schlimmer noch als in der Versicherungswirtschaft sieht es im E-Commerce-Bereich aus. 1 Jahr später, also 2017 testet T-Systems Multimedia Solutions 15 der größten Online-Shops in Deutschland und kam zum erschreckenden Ergebnis, dass lediglich 1 von 15 Webseiten barrierefrei waren (Studie Barrierefreiheit bei Online-Shops (Link öffnet neuem Fenster)).

Nur 2,6 % der meistgenutzten Webseiten im Internet sind barrierefrei

Nach der jährlich stattfindenden Studie von WebAIM(Link öffnet neuem Fenster), sind in Februar 2021 lediglich nur 2,6 Prozent der 1 Millionen meistbesuchten Seiten im Internet barrierefrei (WCAG 2, AA Konform). In der nachstehenden Liste sind die häufigsten Barrieren aufgeführt.

  • Zu niedriger Schriftkontrast (86,4 % aller Webseiten)
  • Fehlende Grafikbeschriftungen (60,6 % aller Webseiten)
  • Fehlende Labels bei Formularfeldern (54,4 % aller Webseiten)
  • Fehlende Linkbeschriftung (51,3 % aller Webseiten)
  • Fehlende Buttonbeschriftung (26,9 % aller Webseiten)

Was bedeutet dies für Betroffene und Unternehmen?

Aus Sicht der betroffenen Menschen ist dies eine Katastrophe - Sie können lediglich auf einen ganz kleinen Angebot des Marktes zurückgreifen. Dies könnte dazu führen, dass Sie sich nicht für den Preis-Leistungsmäßig besten Anbieter auf dem Markt entscheiden können, weil Sie lediglich auf diese Anbieter zurückgreifen können, die barrierefrei sind.

Für die Unternehmen zeigt sich hier die große Chance - Ein barrierefreies Angebot (Webseite, App) hilft dabei sich leicht von 90 % der Mitbewerber hervorzuheben und das ganz ohne Preisdruck, sondern lediglich mit Maßnahmen, die allen Kunden am Ende helfen.

Digitale Barrierefreiheit bei beruflich genutzter Software

Schlimmer noch als bei alltäglich genutzter Software, zeigt sich die digitale Barrierefreiheit im beruflichem Umfeld. Gefühlt übersteigt hier die Anzahl der unzugänglicher Software bei weitem die der zugänglichen Software.

Fragen Sie beispielsweise blinde Entwickler, welche Entwicklungswerkzeuge Sie verwenden und Sie werden feststellen, dass Editor, Notepad++, Vim, Emacs und die klassische Kommandozeile Arbeitsalltag sind (für die nicht Entwickler, diese Werkzeuge gab es auch schon vor 30 Jahren).

Zwar gibt es Ansätze zur digitalen Barrierefreiheit bei Eclipse oder IntelliJ, doch kommen die Hersteller kaum hinter der rasanten Entwicklung der Technologien hinterher. Als beispielsweise Google angekündigt hat, dass Sie sich auf Android Studio konzentrieren werden und keine Updates für Eclipse mehr lieferten, konnten viele Blinde nicht einfach auf Android Studio wechseln. Erst Jahre später gab es die ersten Ansätze zur Barrierefreiheit bei Android Studio. Nur waren die meisten blinden bei dieser Technologie in der Zwischenzeit abgehängt worden (Für die nicht Entwickler, Eclipse, IntelliJ und AndroidStudio sind Entwicklungsumgebungen die den Programmiereraltag deutlich erleichtern).

Es ist wichtig, dass wir mit Nachdruck auf die Barrierefreiheit von beruflich genutzter Software drängen, da nur so eine wirkliche Teilnahme im Berufsalltag möglich ist. Wir haben weitverbreitete Software die von verschiedenen Unternehmen zur Urlaubsverwaltung, Zeiterfassung, internen Kommunikation und so weiter verwendet wird. Wenn wir davon ausgehen, dass jeder dieser Unternehmen bemüht ist, die 5 Prozent Vorgabe zur Besetzung der Arbeitsplätze mit behinderten Menschen nachzukommen, ist es fatal als Hersteller nicht die digitale Barrierefreiheit zu beachten. Denn früher oder später werden größere Unternehmen - wie es heute bereits in Behörden der Fall ist - die Barrierefreiheit als Qualitätsmerkmal in den Beschaffungsvorgaben mitaufnehmen "müssen".

Fazit - Mehr Bewusstheit für die digitale Barrierefreiheit, bitte

Durch den demografischen Wandel wird die Zielgruppe, die auf die Nutzung von barrierefreien Angeboten angewiesen ist, immer größer und somit nimmt die wirtschaftliche Relevanz von Barrierefreiheit stetig zu.

Wenn Behindertenverbände nicht mittels Bewusstseinsschaffung und staatliche Institutionen durch Gesetzesvorgaben auf die Wichtigkeit von barrierefreien Angeboten hinweisen bzw. Barrierefreiheit kraft Gesetz direkt oder indirekt erzwingen, wird die digitale Barrierefreiheit auch in der Zukunft in Deutschland nur ein Schattendasein genießen. Dabei ist der Bedarf Riesen groß. Nicht nur das die Zielgruppe immer größer wird, auch international werden die Gesetze immer mehr verschärft. Daher sollten deutsche Software-Unternehmen schon aus geschäftlichem Interesse viel stärker sich auf die digitale Barrierefreiheit konzentrieren.

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