Barrierefreies Gendern – Wie gendert man barrierefrei?

Nachdem wir im ersten Teil die Notwendigkeit des barrierefreien Genderns erarbeitet haben, geht es im zweiten Teil darum eine Form des Schreibens zu erarbeiten, die die Barrierefreiheit der Sprache (Lesbarkeit und Verständlichkeit) genauso berücksichtig, wie es die Anforderung des Genderns berücksichtigt.

Ich empfehle Ihnen falls Sie Teil 1 noch nicht kennen, zunächst Teil 1 zu lesen, um zu erfahren, was Gendern ist, warum es politisch gewünscht ist und warum Gendern für viele Menschen zum Problem wird. In diesem zweiten Teil beschäftigen wir uns ausschließlich mit den Techniken des Genderns und diskutieren Ihre Vor- und Nachteile.

Überblick - Welche Methoden des Gendern gibt es überhaupt?

Knapp zusammengefasst werden sechs Formen des Genderns diskutiert:

  • Nennung beider Geschlechter (Liebe Kunden und Kundinnen)
  • Zusammenziehen beider Geschlechter durch Anhängsel mit Großbuchstaben (ZuhörerInnen)
  • Vielgeschlechtigkeit in der Sprache durch Trennungszeichen und Anhängsel andeuten (Kund*innen, Freund:in, Sportler#innen, Fahrer;innen)
  • Verwendung von geschlechtsneutralen Worten, die alle Geschlechter einbeziehen (Team, Lehrerschaft, Kollegium)
  • Abwechselnde Verwendung der Geschlechter im Text.
  • generische Maskulinum + Genderstatement als Vorwort

Im Folgenden werden wir jede dieser Formen hinsichtlich Gendergerechtigkeit und Barrierefreiheit bewerten.

Nennung beider Geschlechter

Die Nennung beider Geschlechter scheint zunächst die fairste Art des Genderns zu sein. Ihre Vorteile sind

Vorteile

  • Beide Geschlechter werden gleichberechtigt erwähnt.
  • Die Regeln der Grammatik bleiben gewahrt.
  • Der Lesefluss der Sprachausgabe wird nicht gestört.

Allerdings hat diese Variante auch Ihre Nachteile.

Nachteile

  • Es werden lediglich die beiden Geschlechter (Männlich / Weiblich) berücksichtigt.
  • Die Textlänge nimmt zu.
  • Wortdopplungen erschweren das Lesen für Menschen, für die Lesen eine Herausforderung darstellt.
  • Die sprachliche Ästhetik leidet durch zu viele Wortdopplungen.

Gerade der Punkt, dass nicht alle Geschlechter berücksichtigt werden, könnte politisch besonders Diskutabel sein.

Erwähnung beider Geschlechter durch Trennzeichenfreie Anhängsel

Eine weitere Möglichkeit beide Geschlechter sprachlich zu berücksichtigen, ist durch die Verwendung eines Anhängsels (KundInnen, FarerIn).

Vorteile

  • Vermeidung von Wortdopplungen
  • Kürzere Texte

Nachteile

Erwähnung beider Geschlechter durch Trennzeichen + Anhängsel

Bei dieser Methode geht es darum, alle Geschlechter dadurch zu berücksichtigen, indem ein Trennzeichen + ein Anhängsel verwendet wird (Kund*innen, Freund:in etc.) Hierbei kommen die Trennzeichen (* (Sternchen), # (Nummernzeichen), : (Doppelpunkt), ; (Semikolon) zum Einsatz.

Vorteile

  • Berücksichtigung aller Geschlechter
  • Kürzere Texte

Nachteile

  • Lesefluss der Sprachausgabe wird gestört.
  • Wortkonstruktionen sind nicht immer sauber möglich (Ärzt*innen).
  • Komplizierte Satzkonstruktionen (jede*r, ein*e, schöne*r)
  • Fast alle Trennungszeichen haben eine eigene Bedeutung.

Das Problem vieler Trennzeichen ist, dass diese im Schriftverkehr besondere Bedeutungen haben. Der Doppelpunkt beispielsweise ist ein "Satzzeichen, das vor einer Aufzählung, einem Zitat oder einer wörtlichen Rede stehen kann. Er kann außerdem Erklärungen und Zusammenfassungen des vorher Gesagten einleiten. Der Doppelpunkt ist zugleich trennend und betonend." (Wikipedia - Doppelpunkt (Link öffnet neues Fenster))

Das führt dazu, dass die Sprachausgabe versucht diese Trennzeichen zu interpretieren und in Rahmen des Vorlesevorgangs zu berücksichtigen. Und dies wiederum stört den Lesefluss. Es wäre wünschenswert, wenn es irgendwann ein anerkanntes Sonderzeichen für das Gendern gebe, damit die Vorleseprogramme sich darauf einstellen könnten.

Geschlechtsneutrale Formulierung

Bei der geschlechtsneutralen Formulierung geht es darum, Worte zu verwenden, die eine Vielzahl von Menschen unabhängig des Geschlechts anspricht (z. B. Team, Kundschaft, Studierende).

Vorteile

  • Alle Geschlechter werden berücksichtigt.
  • Korrekte Grammatik
  • Texte werden nicht aufgebauscht.
  • Lesefluss bleibt intakt.

Nachteile

  • Es gibt nicht immer ein Wort, welches zur Ansprache eines Kollektivs verwendet werden kann (z. B. Bürger).
  • Texte wirken schnell unpersönlich, wenn immer nur ein Kollektiv angesprochen wird.

Rollenverteilung

Ich habe die Methode der Rollenverteilung zum ersten Mal im Artikel "Richtig gendern: 5 Arten für alle Fälle (Link öffnet neues Fenster)" von Lucia Clara Rocktäschel gelesen. Hierbei wird darauf verzichtet jedes Geschlecht in einem Wort zu erwähnen. Stattdessen werden innerhalb eines Textes verschiedene Rollen verwendet. Beispiel: "Verkäuferinnen (weiblich) können durch das neue Kassensystem Kunden (männlich) schneller bedienen.)

Vorteile

  • Stört nicht den Lesefluss
  • Texte werden nicht aufgebauscht.

Nachteile

  • Nicht alle Geschlechter werden berücksichtigt.
  • Die Lesensart wirkt zunächst gewöhnungsbedürftig.
  • Autor muss darauf achten, bei der Rollenverteilung konsequent zu bleiben.
  • Beim Zuweisen von Rollen (Verkäuferinnen / Handwerker) könnte es zu "klischeehafte Rollenmodelle" kommen.

generische Maskulinum

Beim generische Maskulinum wird die männliche Anspracheform für alle Leser verwendet. Meistens wird zu Beginn eines Textes auf diese Anspracheform hingewiesen und die Wertschätzung für alle Leser und Leserinnen kundgetan.

Vorteile

  • Allen vertraute Variante.
  • Lesefluss bleibt Intakt.
  • Ermöglicht kürzere Texte.

Nachteile

  • Berücksichtigt im Textverlauf nicht alle Geschlechter.
  • Erfüllt die gewünschte Rekonditionierung bei Rollenbilder nicht.

So verhalte ich mich

Ich habe mich dazu entschieden, je nach Leserschaft mich anders zu verhalten.

Generell bevorzuge ich das generische Maskulinum, weil eine Wertschätzung meiner Meinung nach aus meinem Verhalten gegenüber meiner Mitmenschen und meiner Einstellung resultiert. Ein mechanisches Setzen von Gendersternchen macht weder den Autor zu einem besseren Menschen, noch hilft es den meisten Lesern. Zudem baut es zusätzliche sprachliche Barrieren auf. Das einzige was damit erreicht wird, ist, dass der Autor eine politisch gewünschte Haltung einnimmt.

Da ich ein Blog über Barrierefreiheit betreibe, wäre es aus meiner Sicht unaufrichtig, hier besseren Wissens zu behaupten das "Gendern" für niemanden eine Lesehürde darstellt. Da diese Lesehürde vorhanden ist, verzichte ich innerhalb dieses Blogs auf das Gendern.

Würde ich hingegen in Auftrag einer feministischen Zeitung schreiben, wäre ich stets darauf bedacht, jedes Sternchen richtig zu setzen, um den Wunsch nach politischer Korrektheit der Leserschaft nachzukommen. Auch wenn dies sich gerade lustig anhört, ist es ernst gemeint. Wenn deine Leserschaft die politische Korrektheit einfordert, dann bist du gut beraten, diesen Wunsch nachzukommen oder dir eine andere Leserschaft zu suchen.

Das gleiche gilt für deinen Arbeitgeber. Wenn dein Arbeitgeber das Gendern aus Imagegründen oder vielleicht auch aus Überzeugung vorschreibt, auch dann solltest du dich an die Regeln halten. Politische Korrektheit ist heute nicht mehr nur ein gewünschtes Verhalten, sondern kann aufgrund der medialen Macht und daraus resultierenden öffentlichen Druck das Ende von Unternehmen und Autoren bedeuten, daher sei achtsam, was du nach außen kommunizierst.

Für mich hat dies auch nichts mit Doppelmoral zu tun. Ich vergleiche es mit der Kleiderwahl. Auf manchen konservativen Veranstaltungen gibt es ungeschriebene Konventionen hinsichtlich der Kleiderwahl (z. B. Anzug bei wichtigen Veranstaltungen), dann entscheide ich mich für den Anzug. Ist die Veranstaltung etwas lockerer, ja dann habe ich mehr Spielraum und ich kleide mich etwas legerer.

Genauso wie die Kleiderwahl Respekt gegenüber dem Event und den Veranstalter zum Ausdruck bringt, sollte dein Schreibstil deine Leserschaft und ihre Wertvorschriften respektieren. und wenn dir die Konventionen der Leserschaft nicht passt, dann bist du immer frei, dir eine andere Leserschaft zu suchen.

Fazit

es gibt viele Techniken, um zu Gendern. Wirklich barrierefreies Gendern ist hingegen meiner Meinung nach nicht möglich. Jede Form hat seine eigenen Vor- und Nachteile. Ich selbst orientiere mich mangels Alternativen an meine Leserschaft und an den Zweck des Artikels.

Am Ende meines Artikels möchte ich meine große Wertschätzung gegenüber jeden Menschen und jedes lebendige Wesen ausdrücken - ganz gleich welches Geschlecht sie sich zugehörig fühlen. Wenn ich mich aus Sicht der Barrierefreiheit kritisch mit dem Gendern beschäftige, dann nur, um die Probleme des Genderns für viele Menschen aufzuzeigen und Denkanstöße zu geben, damit alle Menschen an der gesellschaftlichen Kommunikation teilnehmen können.

Teile mit mir deine Gedanken: Was denkst du über das Gendern und wie Genderst du?

2 Kommentare

  1. Danke für den 1. Teil zum Gendern, den ich umfänglich teile.

    Beim zweiten Teil gebe ich zu bedenken, dass es weiter Benachteiligung durch Gendern (=Satzzeichen mitten im Wort) gibt, wenn man es dort mitmacht, wo es erwünscht ist.
    Unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist es natürlich richtig sich dem Kunden, der Zielgruppe anzupassen.
    Aber dadurch verringern sich die Barrieren durch Gendern nicht für die, für die Gendern wirklich eine Barriere darstellt.

    Ich weiß nicht, ob ich betroffen wäre, wenn ich nicht erkrankt wäre.
    Als Kind hatte ich große Probleme beim Lesen und Schreiben lernen nach frühkindlicher Sehstörung (starkes Schielen).
    Seit einem Septischen Schock vor 12 Jahren bin ich mit kognitiven Einschränkungen „gesegnet“, die ich im Verdacht habe dafür zu sorgen, dass ich durchgegenderte Texte/Artikel nicht lesen k a n n.
    Ich bin mit gegenderten Texten in Kontakt seit ungefähr 2016 und selbst 7 Jahre später komme ich nicht damit klar. Es gibt also wohl kaum noch Hoffnung darauf, dass sich das noch ändert.
    Sollte sich das Gendern wirklich durchsetzen wären Menschen wie ich von Informationen abgeschnitten.
    Und das wäre ungerechter als Gendern je gerecht sein kann!

    1. Sehr geehrter Heinz Murken,

      vielen Dank für das Teilen Ihrer Erfahrungen – das ist sehr wichtig. Nur wenn wir alle auf die Problematiken die mit dem Gendern für Menschen mit Behinderungen verbunden sind Aufmerksam machen, können wir hoffentlich eine Debatte über das Gendern erreichen, die mehr funktional und weniger ideologisiert geführt wird.

      Ihnen weiterhin alles Gute.

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